Folge 4: Ein Delfinarium stirbt

Shownotes

Jesse feuert Willy an, ruft ihm zu: „Tu es! Spring! Jetzt komm, Willy!“ Und der Orca springt – in die Freiheit. Was im Film „Free Willy“ Fiktion ist, soll für Willys Orca-Darsteller Keiko auch Realität werden. Eine Stiftung wird gegründet und Millionen von Dollar gesammelt, um den Orca freizukaufen. Doch die Auswilderung gestaltet sich schwerer als erwartet. Jahrzehnte lang hat Keiko sich an Becken, Menschen und gefrorenen Fisch gewöhnt. Das ist auch bei den Delfinen so, die in deutschen Zoos leben. Viele von ihnen sind sogar im Tiergarten geboren, haben das Meer nie gesehen. Dieses Problem hat auch Zoodirektor Jörg Adler, als er 2012 eine polarisierende Entscheidung für das Delfinarium in Münster getroffen hat.

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Folge 4: Ein Delfinarium stirbt

Free Willy: „Komm her Willy. Schwimm zum Wellenbrecher. Schnell, los Willy, los, komm von den Netzen weg, die sind gefährlich. Schwimm.“

Das ist Jesse. Jesse will seinen Orca-Freund Willy retten. Vielleicht kennt ihr die Szene ja. Also ziemlich sicher kennt ihr sie, wenn ihr den Film “Free Willy” gesehen habt. Und selbst wenn nicht: Die Szene ist Kult.

Das ist Jesse. Jesse will seinen Orca-Freund Willy retten. Vielleicht kennt ihr die Szene ja. Also ziemlich sicher kennt ihr sie, wenn ihr den Film “Free Willy” gesehen habt. Und selbst wenn nicht: Jesse und seine Helfer*innen bringen Willy auf einem Truck zum Meer. Der Weg nach draußen wird aber von Booten und Netzen versperrt. Der Befreiungsplan droht zu scheitern.

Free Willy: „Tu es! Spring! Jetzt komm, Willy! Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Ich weiß, du kannst über diese Mauer springen. Komm jetzt, ich glaub an dich, Willy. Du kannst es schaffen. Du kannst wieder frei sein.“

Jesse feuert Willy an. Er sagt ihm, dass er ihn vermissen wird, dass er ihn liebt. Und dann passiert’s: Willy springt - über eine Steinmauer und über Jesses Kopf ins Meer.

Free Willy (Sprung in die Freiheit: ) „JAAAA!“

Free Willy (Sprung in die Freiheit: Die Freude ist riesig. Willy hat es geschafft. Willy ist frei. Er bekommt sein Happy End.

Free Willy (Sprung in die Freiheit: Intro

Free Willy (Sprung in die Freiheit: Hi, ich bin Erika Balzer und ihr hört „Das Delfin-Dilemma“ – ein Podcast vom Verlag Nürnberger Presse.

Free Willy (Sprung in die Freiheit: Der Orca Willy aus dem Film heißt eigentlich Keiko. Er lebt unter schlechten Bedingungen in einem Vergnügungspark in Mexiko. Direkt nachdem “Free Willy” 1993 in die Kinos kommt, gibt es auch für Keiko den Ruf nach Freiheit. Der Film-Star muss gerettet werden. Keiko soll seiner Filmfigur Willy folgen - in die Freiheit.

Free Willy (Sprung in die Freiheit: Orca-Laute

Free Willy (Sprung in die Freiheit: In den vorherigen Folgen haben wir schon mit einigen Aktivist*innen gesprochen. Sie wollen, dass die Delfinarien schließen. In dieser Folge erzählen wir die Geschichte von Keiko, dem Darsteller von Free Willy. Wir erzählen, was passiert, wenn ein Delfinarium schließen muss. Und was, wenn Delfine auf einmal in die Freiheit entlassen werden.

Ihr hört Folge 4: Ein Delfinarium stirbt.

Ihr hört Folge 4: Trenner

Ihr hört Folge 4: Als kleines Orcakind schwimmt Keiko, der spätere Filmstar, mit seiner Mutter im Meer. Von ihr lernt er das Jagen. Mit zwei Jahren ist das dann vorbei. Ende der 70er wird Keiko vor der Küste Islands gefangen.

Bevor ihr euch fragt, warum ich jetzt auf einmal was von Orcas erzähle, hier ‘ne kurze Erklärung: Orcas gehören zur Familie der Delfine und sind die größte Delfinart. Sie werden bis zu 10 Meter lang und 7 Tonnen schwer. In einigen Aquarien und Meereszoos werden neben Delfinen auch Orcas gehalten, die ebenfalls Kunststücke aufführen.

Island, Kanada und Mexico: Nachdem Keiko gefangen wird, lebt er in den nächsten Jahren auf drei verschiedenen Kontinenten. Statt lebender Fische, bekommt er nun tiefgefrorenes Futter. Großartig tauchen und schwimmen kann er in seinem kleinen Becken auch nicht. Keiko verliert seine natürlichen Instinkte.

Island, Kanada und Mexico: Er lebt im Vergnügungspark Reino Aventura in Mexiko-City – und er wird zum Filmstar. Er spielt die Hauptrolle in „Free Willy – Ruf der Freiheit“ und in den Fortsetzungen „Free Willy“ 2 und 3.

Island, Kanada und Mexico: Seine Fans gründen schließlich die “Free Willy Keiko Foundation”. Die Stiftung hat das Ziel, Keiko in die Freiheit zu bringen. Auch, weil es dem Orca in seinem kleinen Becken gesundheitlich gar nicht gut geht.

Island, Kanada und Mexico: Dave Philipps „The first time i ever saw Keiko I was like at the top of this amphitheatre, it was empty at the time, looking down at this whale in this tiny pool. He barely had enough room to turn around. He was skinny, had a skin condition.“

Island, Kanada und Mexico: Das ist Dave Philipps, der Gründer der “Free Willy Keiko Foundation”. Das erste Mal, als er Keiko sieht, geht es dem Orca bereits schlecht. In dem kleinen Becken hat er kaum Platz sich zu drehen, er ist abgemagert, seine Haut übersät mit Wucherungen und seine Rückenflosse abgeknickt.

Island, Kanada und Mexico: Bett hoffnungsvoll

Als die Stiftung genug Spenden gesammelt hat, wird Keiko aus dem Vergnügungspark freigekauft. Das Ziel ist ganz klar: Keiko soll irgendwann wieder in seiner Heimat - vor der Küste Islands schwimmen. Die "Free Willy Keiko Foundation" baut ihm ein neues Zuhause.

Als die Stiftung genug Spenden gesammelt hat, wird Keiko aus dem Vergnügungspark freigekauft. Das Ziel ist ganz klar: An der Westküste der USA, im Bundesstaat Oregon, soll er bis dahin übergangsweise leben. Dort geht’s Keiko dann auch besser. Das neue Becken ist mit kühlem Meerwasser gefüllt und die Trainer*innen üben mit ihm das Einmaleins der Killerwale. Keiko soll wieder selbst Fische fangen und weite Strecken schwimmen. Das mit der Jagd klappt so semi gut. Keiko bevorzugt dann doch lieber den tiefgefrorenen Fisch.

Nach zwei Jahren Training ist es dann endlich soweit: Keiko wird im September 98 in einem Frachtflugzeug nach Island geflogen. Und das ist logistisch `ne ganz schöne Herausforderung: Immerhin wiegt der Wal vier Tonnen. Deshalb kommt auch nur eine Boeing C-17 für diese Aufgabe in Frage, ein riesiges Flugzeug der US Airforce.

Dave Philipps: „We had to get Keiko ready in this big metal shipping container filled with water and a sling to hold him up. We had to get a humongous crane to be able to lift him out of the pool that he was in. And then bring him down into this big shipping container on the back of a flatback truck. Then we had to drive that to the airport and load that onto the C-17.“

Dave Philipps: Im Gespräch mit der BBC erzählt Philipps von Keikos Reise.

Dave Philipps: Der Orca muss mit einem Kran aus seinem Becken in einen Schiffscontainer gehoben werden. Der ist mit Wasser gefüllt und eine große Schlinge sorgt dafür, dass Keiko an der Wasseroberfläche bleibt und atmen kann.

Dave Philipps: „He actually was really relaxed. We were getting ready to land in the low hills, and it's covered with people, Islanders, that were there at like 5:00 o‘clock in the morning, and some of them had signs that said ‚welcome home‘. After 22 years. I was right there witnessing, lowering him down into the water to hear the sounds and see the sights and be in natural seawater where he was born, his native waters. An incredible moment for me and for the world, I think.“

Dave Philipps: Während des Flugs ist Keiko total entspannt, meint Philipps. Und die Leute in Island freuen sich richtig auf den Orca. Im Morgengrauen begrüßen sie ihn bei seiner Ankunft mit “Willkommen zuhause”-Plakaten.

Dave Philipps: Dort, wo Keiko gefangen wurde, wird er jetzt frei gelassen und schwimmt zum ersten Mal wieder im Meer.

Dave Philipps: Meeresrauschen

Dave Philipps: Philipps meint, es ist ein unbeschreiblicher Moment für ihn, Keiko wieder im Ozean zu sehen.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: er soll sich wieder an die natürlichen Gegebenheiten gewöhnen, an Ebbe und Flut.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Wir haben ja schon gehört, dass Delfine in sozialen Gruppen leben. Orcas machen das eigentlich genauso. Keiko tut sich mit seinen Artgenossen aber schwer. Seine Betreuer*innen versuchen sogar mit Hilfe von Haut- und Geräuschproben Angehörige von Keiko zu finden – leider aber ohne Erfolg. Sie führen ihn immer wieder in die Nähe von freilebenden Walgruppen.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Keiko ist neugierig auf seine Artgenossen, erzählt Keikos Trainer der New York Times. Er möchte spielen und Teil einer Gruppe werden. Und trotzdem bleibt er von Menschen abhängig.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Erst nach vier Jahren vor der isländischen Küste kann sich Keiko endlich einer Orca-Gruppe anschließen und verlässt seine Betreuer*innen. Alle Zeichen stehen auf Happy End – genauso wie bei “Free Willy”.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Bett

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Nach mehreren Monaten in seiner Walgruppe taucht Keiko aber plötzlich vor der norwegischen Küste auf. Das ist so ungefähr 1.400 Kilometer Luftlinie entfernt von Island. Das ist einmal von Nürnberg nach Helsinki. Er hat also ne ziemlich weite Reise hinter sich.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Vor der Küste Norwegens sucht er dann auch wieder die Nähe zu Menschen. Er lässt sich streicheln und sogar Kinder auf ihm turnen. Ja, es gibt Videos, in denen er an der Wasseroberfläche schwimmt und Kinder auf ihm liegen. Auf einem Killerwal.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Das zeigt, wie sehr Keiko zwischen zwei Welten gefangen ist. Er ist zwar auf ein Leben in Freiheit vorbereitet, sagt Philipps, hat sich in 22 Jahren aber eben auch an die Menschen gewöhnt.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Bett - neutral

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Keiko bleibt an der Küste Norwegens. Er wird dort wieder betreut und gefüttert. Sieben Jahre lang hat die "Free Willy Keiko Foundation" versucht, den Orca auszuwildern. Gekostet hat das die Stiftung über 20 Millionen US-Dollar.

Erstmal lebt der Orca in einem eingegrenzten, geschützten Bereich. Dafür gibt es einen guten Grund: Im Dezember 2003 stirbt Keiko an einer Lungenentzündung - eineinhalb Jahre, nachdem er ins offene Meer befreit wurde. Der Gründer der Stiftung, Dave Philipps, macht sich sofort auf den Weg.

Dave Philipps: „I was very sad. I went to Norway. It was the end of that journey, but he was able to live out his life from the time he left Oregon in his natural waters. He got a chance to be free. We would love to have had him find his family. We knew how much better off he was than he was at every other step.“

Dave Philipps: Obwohl Keiko nicht lange in Freiheit überlebt hat, ist er froh, dass der Orca wieder im Meer schwimmen konnte. Hier ging es ihm viel besser als in den ganzen Stationen davor. Auch wenn er seine Familie nicht wiedergefunden hat.

Vielleicht fragt ihr euch: War es denn überhaupt richtig, Keiko mit so viel Aufwand auszuwildern? Zumindest für Philipps steht fest: Keikos Leben hat etwas bewirkt, auch wenn er nicht mit seiner Familie in den Sonnenuntergang schwimmen konnte.

Dave Philipps: „It wasn't a Hollywood ending, you know. It wasn't like a swim off into the sunset with his family. That is a romanticised view. We feel like Keiko had a incredible odyssey. It's spawned a whole effort around sanctuaries, the idea of builing sanctuaries for belugas. There's actually a beluga sanctuary in the same area of Iceland.“

Dave Philipps: Zu ein paar Veränderungen hat seine Geschichte nämlich schon geführt. Zum Beispiel gibt es einen neuen Zufluchtsort für eine andere Delfin-Art, für Beluga-Wale. An der Stelle, an der Keiko damals ausgewildert wurde.

Dave Philipps: „Even in the US, SeaWorld is now prohibited from breeding any more in captivity, capturing any from the wild, importing them, exporting them out of the U.S. It's spreading because people have this understanding that orcas and whales and wild animals that are ill suited for lifes in captivity should be protected in the wild. And Keiko told that story. His legacy lives on today.“

Und: die großen Themenparks, wie zum Beispiel Seaworld in den USA, dürfen keine Orcas mehr züchten. Philipps meint, dass Menschen verstanden haben, dass Orcas in die Freiheit und nicht in ein kleines Becken gehören. Das alles ist Keikos Erbe.

Und: Trenner

Nina Telefongespräch:

„Jörg Adler: Jörg Adler.

Nina: Hallo Herr Adler, Nina Kammleiter hier vom Verlag Nürnberger Presse.

Alder: Ja, grüße Sie.

Nina: Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben. Wir sind schon im Zoo. Wir waren etwas früher da und ich wollte einfach nur kurz fragen, ob wir uns im Museum dann direkt treffen könnten. Im Pferdemuseum.“

Reporterin Nina ist im Allwetterzoo in Münster. Und der Name ist Programm: Es fällt leichter Nieselregen an dem Tag. Nur wenige Besucher*innen sind da. Nina ist mit dem ehemaligen Zoodirektor, Jörg Adler, verabredet. In der Geschichte des Delfinariums in Münster spielt er eine besonders wichtige Rolle.

Reporterin Nina ist im Allwetterzoo in Münster. Und der Name ist Programm: Sie treffen sich am Pferdemuseum - Adlers Lieblingsort im Allwetterzoo.

Reporterin Nina ist im Allwetterzoo in Münster. Und der Name ist Programm: Nina steht am Esel-Gehege vor dem Museum, als Jörg Adler mit orangener Basecap und knallgelben Lederhandschuhen an ihr vorbeigeht. Sie hält ihn genau deshalb auch erstmal für einen Tierpfleger. Die beiden finden sich dann doch noch.

Reporterin Nina: „Hallo Herr Adler, wir waren gerade noch von den Eseln abgelenkt.”

Reporterin Nina: Jörg Adler hat schon immer eine Verbindung zu Tieren. Er wird 1946 in Leipzig geboren - als Sohn eines Tierarztes.

Jörg Adler: „Ich bin in der Tierklinik zur Welt gekommen bzw. aufgewachsen. Aber das lag nicht an meinem Namen Adler, sondern daran, dass mein Vater direkt nach dem Krieg dort Ordinarius für Chirurgie in dieser Leipziger Universitätsklinik war und eine Dienstwohnung hatte.”

Jörg Adler: Adler erinnert sich an seine erste Begegnung mit Delfinen. Das war noch vor seiner Zeit in Münster.

Jörg Adler: „Doch jetzt fällt mir wieder ein - natürlich. Bereits 1985 habe ich das erste Mal ein Delfinarium gesehen. Damals waren noch die Belugas in Duisburg und die Jacobitas. Ah, das war natürlich total faszinierend, ich stand da das erste Mal vor den Jacobitas und dachte: Wow!“

Jörg Adler: Adler arbeitet zuerst im Leipziger Zoo. 1990 wechselt er nach Münster und fünf Jahre später wird er zum Direktor im Allwetterzoo - und das macht er dann über 20 Jahre lang. In dieser Zeit geht’s viel um Umbau und Erneuerungen. Er trifft wichtige Entscheidungen – manche davon sind ganz schön unbeliebt. Eine davon betrifft das Delfinarium in Münster.

Jörg Adler: Wasserplatscher

Jörg Adler: In Münster gibt’s am Anfang eine Halle für die Delfine. Ein Mehrbeckensystem wie es heute üblich ist, ist damals noch in weiter Ferne. Im Laufe der Jahre ändern sich die Vorschriften für die Haltung. Was in den 70er und 80er Jahren als artgerecht gilt, ist 30 Jahre später längst veraltet.

Jörg Adler: Der Zoo muss sich wandeln, also auch das Delfinarium. Nachträglich wird eine zweite Halle mit überdachtem Becken gebaut, damit die Delfine mehr Platz haben. Für ein paar Jahre reicht das.

Jörg Adler: Aber 2008 kritisiert das Wal- und Delfinschutzforum die beiden Hallen. Wegen fehlendem Tageslicht und zu wenig Frischluft.

Jörg Adler: „Natürlich wusste ich, dass das der Druck auf die Delfinhaltung zunimmt, aber es hat uns vor Ort in Münster nur am Rande getroffen. Kurioserweise, obwohl wir das kleinste und vielleicht am wenigsten entwickelte Delfinarium hatten, von der Technik her und von allem.“

Jörg Adler: 2014 veröffentlicht dann auch das Landwirtschaftsministerium ein neues Gutachten zur Haltung von Säugetieren. Für die Delfine müssen Innen- und Außenbecken vorhanden sein. Sie sollen unter freiem Himmel und im Sonnenlicht schwimmen können.

Jörg Adler: Irgendwann fängt Adler deshalb an, sich ganz konkret die Frage zu stellen, ob Delfine bei ihm im Zoo überhaupt noch angemessen gehalten werden können.

Jörg Adler: Bett

Jörg Adler: „Also man muss meine Entscheidung immer in dem Kontext sehen, dass ich eben all die Jahre, die ich hier war, immer eher versucht habe, dort, wo es zu eng sein könnte oder vielleicht die Bedingungen nicht optimal, die Tiere auch dann woanders hin zu geben und irgendwann, da habe ich angefangen, mir über die Delfinhaltung Gedanken zu machen.”

Nach und nach wird ihm klar: Um den Delfinen weiterhin ein gutes Leben zu bieten, wären wirklich große Bauarbeiten im Delfinarium nötig. Nur so könnten die neuen Anforderungen erfüllt werden. Und am Ende geht es – natürlich – ums Geld. Um sehr viel Geld.

Jörg Adler: „Also hier hätte man eben 15 Millionen gebraucht, um ein neues Delfinarium zu bauen. Das hätte ich nicht zugelassen. Also für mich war immer wichtig: Wir haben nie Investitionen gemacht, die mehr als 5 Millionen gekostet haben, weil für uns wichtig war, lieber viel Geld in den Artenschutz zu stecken, also in die Bewahrung von Natur.”

Ihm ist klar: Die Delfine müssen weg.

Ihm ist klar: Trenner

Ihm ist klar: Diese Entscheidung passt in Münster aber nicht allen. Für die Pfleger*innen sind die Tiere eine Lebensaufgabe. Sie haben eine besondere Bindung zu ihnen.

Adler ist zu dieser Zeit nicht unbedingt der Lieblingschef. Obwohl ihm gerade die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, sehr am Herzen liegen, wie er erzählt. Aber am Ende muss er eine Entscheidung treffen, auch wenn es ihm schwerfällt: Wenn er den Tieren nicht optimale Haltungsbedingungen bieten kann, können sie auch nicht bleiben. Viele Pfleger*innen sehen das allerdings nicht so.

Jörg Adler: „Die Trainerinnen und Trainer haben gesagt: Was soll das? Den Delfinen geht es hier gut, wir kennen die, wir wissen, wie die reagieren.”

Jörg Adler: Für die Trainer*innen ist das Abschiednehmen ein langer und echt schwieriger Prozess. Die Tiere, ihre Tiere, mit denen sie jeden Tag zusammenarbeiten, sind dann auf einmal weg.

Jörg Adler: Eigentlich treffen sich Adler und die Mitarbeitenden des Delfinariums einmal im Monat auf einen Kaffee. Diese Treffen fallen dann aber erstmal aus.

Jörg Adler: „Man redet darüber, und dann gibt es erst mal so eine Phase der Enttäuschung. Eine Phase der Trauer. Eine Phase der Wut. Dann bin ich erst mal ein paar Wochen da nicht hingegangen.”

Und wenn man ein Delfinarium schließt, stellt man sich natürlich ein paar Fragen: Was passiert mit den Delfinen? Wo kommen sie hin?

Jörg Adler: „Sie müssen ja auch dann einen Ort haben, wo es den Tieren wirklich besser geht, sonst ist es ja witzlos.

Am Schluss sind noch vier Delfine in Münster zu Hause: Kite, Rocco, Palawas und Nando. Nando ist in Nürnberg geboren. Er ist ein Sohn von Moby, dem Nürnberger Publikumsliebling aus Folge eins. 1996 zieht Nando nach Münster und muss den Zoo jetzt nach 17 Jahren wieder verlassen.

Jörg Adler: „Dann war es so weit. Die Delphine verließen den Zoo in Münster.

Jörg Adler: Kite ist der erste Delfin, der geht. Er kommt schon im März 2012 in einen Freizeitpark nach Frankreich.

Jörg Adler: Bett

Jörg Adler: Von den anderen drei nimmt der Zoo dann am 5. Februar 2013 Abschied. Nando, Rocco und Palawas ziehen an einem kalten Winterdienstag nach Harderwijk, in ein Delfinarium in den Niederlanden. Den freien Platz in Münster füllen dann die Robben. Die Anlage wird nicht groß umgebaut, sie bekommt lediglich einen neuen Namen.

Jörg Adler: „Wir hatten ein neues Konzept: Robbenhaven mit den Seelöwen, weil natürlich Seelöwen erstmal viel komfortabler zu halten sind als Delfine. […] Wir ersetzen die Delfine jetzt durch mehr Seelöwen.“

Jörg Adler: Heute leben im Robbenhaven fünf Seelöwen. Jetzt zeigen sie den Zuschauer*innen mehrmals täglich ihre Kunststücke.

Jörg Adler: Nina und Adler laufen bei ihrem Gespräch zusammen durch die ehemalige Delfinanlage in Münster. Im Hintergrund läuft gerade die Robbenshow und sehr penetrante Gute-Laune-Musik.

Jörg Adler: „Also, das Becken endet hier. Aber es gibt dann einen Durchgang. Und dahinten, das sehen Sie jetzt andeutungsweise, dort gibt es eine zweite große Halle, die nahezu so groß ist wie diese hier. Als Anbau. Und die Delfine schwimmen dann da unten durch Kanal darüber in die andere Halle.“

Reporterin Nina: „Okay, und da ist dann noch mal so ein Becken in der Größe?“

Jörg Adler: „Und das sind wie viele Becken sind drüben? Zwei oder drei, glaube ich? Zwei mindestens. Drei. Also, da drüben sind noch drei Becken. Eins davon ist dann außerhalb auch. Und die schwimmen also quasi durch diesen Kanal durch.“

Reporterin Nina: „Aber man kann nur hier zuschauen?“

Jörg Adler: „Ja. Dort drüben gibt es keine Menschen.“

Also nochmal zusammengefasst: Es gibt zwei überdachte Hallen mit insgesamt drei Becken. Eine wird für die Shows genutzt und erinnert ein bisschen an eine alte Sporthalle. Die Zuschauer*innen sitzen auf Holzstühlen auf den Rängen. Es gibt einen Außenpool, der war aber schon immer nur für die Robben, nie für die Delfine.

Also nochmal zusammengefasst: Dramatischer Trenner

Ich weiß nicht, wie’s bei euch ist, aber ich war mir sicher: Kein Delfinarium mehr: Das bedeutet auch weniger Besucher*innen im Zoo. Doch nach der Schließung passiert etwas Überraschendes.

Jörg Adler: „Also man hatte vorher Sorgen, um Gotteswillen, jetzt verlieren wir 100.000 Besucher. Nein, nichts. Im Gegenteil, es kamen eher noch ein paar mehr. Also der Verlust der Delfine war keine Einschränkung aus wirtschaftlicher Sicht. Dieser Prozess hat wunderbar funktioniert. Warum hat er wunderbar funktioniert? Weil die Menschen auch verstanden haben, dass die Haltung der Delphine hier in Münster eben nicht mehr zeitgemäß war im Vergleich zu Duisburg und Nürnberg.“

Reporterin Nina: „Aber mit Ihrer Entscheidung sind Sie dann rückblickend auch immer noch zufrieden und glücklich?”

Jörg Adler: „Extrem zufrieden, weil wir eben gesehen haben, es geht auch ohne Delfine in diesem Zoo. Also die Angst, dass wir plötzlich weniger Besucher haben, war, hat sich gezeigt, war überflüssig.”

Trotzdem: auch dem Robbenhaven geht’s jetzt an den Kragen. Ende des Jahres 2024 schließt die Anlage. Der Grund: Haltungen mit viel Wasser sind sehr teuer. Die aktuelle Zoodirektorin meint, dass der Zoo viel Geld investieren müsste, wenn er die Robbenhaltung fortsetzen will.

Trotzdem: Kommt mir irgendwie bekannt vor. Wohin die Seelöwen umziehen sollen, wenn der Robbenhaven schließt, ist noch nicht geklärt.

Dass nach den Delfinen nun auch die Robben gehen müssen, passt in Adlers Verständnis von Tiergärten. Noch während seiner Zeit als Zoodirektor hat er eine Idee: Zoos sollten sich untereinander einfach besser absprechen. Für ihn braucht nicht jeder Zoo auch wirklich jedes Tier.

Nach dem Motto: Weniger ist mehr. So könnte man dann auch besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Arten eingehen. Eben auch auf die der Delfine.

Nach dem Motto: Obwohl es im Allwetterzoo keine mehr gibt, müssen Fans der Tiere trotzdem nicht weit fahren.

Jörg Adler: „Also wenn ich jetzt Delfine sehen will, im Münsterland wohne, da fahr ich eben eine Stunde nach Duisburg und schau mir dort Delfine an. Das muss ja nicht in Münster sein.”

Jörg Adler: In Duisburg leben heute noch sieben Delfine. Fünf davon wurden dort auch geboren. Ihre Namen beginnen mit D.

Jörg Adler: Kerstin Ternes nennt sie eine Delfinfamilie. Ternes ist Kuratorin und Zootierärztin. Die Schließung des Delfinariums in Münster hat in Duisburg nichts an der eigenen Grundhaltung verändert.

Jörg Adler: Kerstin Ternes; „Wir haben in unserem Logo schon immer einen Delfin gehabt. Wir sind halt einfach ein Delfin-Zoo oder Walzoo oder Meeressäuger-Zoo. Und deswegen ist für uns die Entscheidung, da wird gar nicht drüber nachgedacht. Und wir sind halt auch nach wie vor von der Haltung überzeugt.“

Jörg Adler: In Duisburg leben die Delfine in verschiedenen Becken, die durch Tunnel verbunden sind. Ternes nennt das einen Rundlauf. Aktuell sind Sanierungsarbeiten geplant, deshalb wird gerade auch nicht gezüchtet. Ähnliche Situation wie in Nürnberg also.

Jörg Adler: Trenner wird Bett

Jörg Adler: In Münster hat das Delfinarium geschlossen. In Duisburg macht man allein schon wegen des Logos weiter.

Jörg Adler: Auch der Nürnberger Tiergarten hält am Delfinarium fest und steckt immer wieder Geld in die Lagune. Dabei läuft auch heute noch immer nicht alles gut. Die Krankenakten einiger Tiere sind lang und sie bekommen immer wieder Diazepam.

Jörg Adler: Bett - dramatisch

Jörg Adler: Das ist ein angstlösendes, muskelentspannendes und beruhigendes Medikament. Auch Menschen nehmen das. Es hat ein ziemlich starkes Suchtpotential.

Jörg Adler: Delfine, die Psychopharmaka bekommen – das klingt irgendwie komisch... In der nächsten Folge schauen wir nochmal ganz genau nach Nürnberg. Wie geht es den Delfinen dort wirklich? Und wie sieht die Zukunft von Delfinarien aus?

Friedericke Schmitz: „Also ich denke, dass Zoos generell nicht ethisch vertretbar sind und abgeschafft gehören.“

Robert Marc Lehmann: „Ich finds beschissen. Ich komm aus der Industrie, ich hab früher Tiere gefangen, ich hab Meeressäuger in Gefangenschaft gehalten. Alles beschissen.“

Katrin Baumgartner: „Ich verwehre mich dagegen, dass man das Diazepam verteufelt, weil es ist ein Medikament, das wir brauchen.“

Roger Holzberg: „It never crossed my mind that people would want to kiss the dolphin. They knew it was a robot, right? It didn't matter.“

Roger Holzberg: „Das Delfin-Dilemma“ ist ein Podcast des Verlags Nürnberger Presse.

Roger Holzberg: Wenn euch die Folge gefallen hat, dann lasst gerne ein Abo und eine Bewertung da. Und vergesst natürlich nicht, den Podcast weiterzuempfehlen.

Roger Holzberg: Autor*innen sind Andreas Hofbauer und Carolin Heilig.

Recherche: Greta Nagel, Lea-Sophie Rohde und Lukas G. Schlapp.

Produktion: Anne-Sophie Reiß, Anton Dietzfelbinger und Inken Thiel.

Social Media: Simon Kirsch.

Showrunner*innen: Alicia Kohl und Robin Walter.

Reporterin: Nina Kammleiter.

Musik: Lukas Graf.

Projektmanagement: Lena Wölki.

Beratung Storytelling: Alexander Gutsfeld.

Beratung Storytelling: Und Host bin ich, Erika Balzer. Das “Delfin-Dilemma” erscheint immer dienstags.

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